20 Jahre .NET-Framework im Rück- und Ausblick

Vor 20 Jahren, am 13. Februar 2002, gab Microsoft die Version 1.0 seines .NET-Frameworks frei. Aus einem Rechtsstreit zwischen Microsoft und Sun über Java hatten die Redmonder eine kühne Vision von umfassender Vernetzung entwickelt. Das Framework für Softwareentwickler war das erste Produkt, das diese Ideen umsetzen sollte. Viele der Visionen von damals sind inzwischen Realität – auch wenn sie niemand mehr mit .NET verbindet.

Vor 20 Jahren gab es weder Twitter noch Facebook. Bitcoins waren ebenfalls in weiter Ferne und Amazons Fokus lag auf dem Handel mit Büchern. Bei Microsoft unter der Federführung von Bill Gates hatte man den ersten Schritt der Internet-Entwicklung verschlafen und setzte nun alles daran, sich als innovatives Unternehmen zu präsentieren. Windows musste zukunftsfähig werden, und diese Zukunft wollte man sich nicht von anderen Unternehmen diktieren lassen.

Nachdem Microsoft anfangs Java als tragendes Konzept vorgesehen hatte, führten die zunehmenden juristischen Konflikte mit Sun über Microsofts Java-Adaption zu einem Strategiewandel. Mit dem .NET-Framework wollte Microsoft eigene Wege gehen. Im Juni 2000 präsentierte der Softwarehersteller mit großem Tamtam sein Konzept, das er für bahnbrechend hielt: Man wollte die Grenzen der Betriebssystemwelten überwinden und etwas bauen, mit dem man Software auf beliebigen Endgeräten plattformunabhängig betreiben kann. Mitte Februar 2002 war dann die erste Fassung des „revolutionären“ Entwickler-Frameworks fertig. Anfangs lief .NET nur auf Windows, war aber von Anfang an als übergreifende Basis zur Softwareentwicklung angedacht.

Arbeitstitel Next Generation Windows Services

Die Grundidee war aber weitaus größer. Unter dem Titel „Next Generation Windows Services“ (NGWS) wollte Microsoft die Führung übernehmen, um Daten von überall her auf simple Weise nutzbar zu machen. Silos und Grenzen sollten verschwinden, wer Daten hatte, sollte sie einfach anbieten können, und wer diese Daten verarbeiten wollte, sollte sich die Funktionen dazu wie aus einem Baukasten zusammenstöpseln können.

Der damals noch als Microsoft-Chairman agierende Bill Gates versprach „über die heutige Welt der eigenständigen Websites hinaus zu einem Internet aus austauschbaren Komponenten zu gelangen, in dem Geräte und Dienste zu zusammenhängenden, benutzergesteuerten Systemen zusammenwachsen“. Nach der Vision „Information at your fingertipps“ sollte die .NET-Idee Microsoft nun als Innovationsträger präsentieren, der Informationen von jedem beliebigen Gerät aus verfügbar macht.

Dabei sollte das erste .NET-Framework die Basis für plattformunabhängige Internetapplikationen bieten und es ermöglichen, eine neue Generation intelligenter Internetgeräte zu betreiben. Hier prophezeiten die Redmonder einen Hardware-Innovationsschub, den sie selbst anführen wollten. Microsoft kündigte außerdem Pläne für neue Produkte an, die auf der .NET-Plattform aufbauen, darunter neue Windows-Versionen, Microsoft Office, das MSN-Netzwerk mit verschiedenen Dienstleistungen sowie das Entwicklungssystem Visual Studio. Um den großen Ansprüchen gerecht zu werden, stellte Redmond sein ganzes Portfolio in den Dienst seiner Idee und wies Produkten wie dem SQL Server oder dem Commerce Server neue Rollen im Gesamtgefüge zu.

Alle gegen Microsoft gegen alle

Doch zunächst musste Microsoft einigen Boden gutmachen. Um die Jahrtausendwende liefen die Geschäfte zwar glänzend, aber das Vertrauen der Business-Welt hatte der Hersteller gründlich verspielt. Sicherheit war das Kernproblem in dem jungen, bunten Internet – und ausgerechnet Windows galt als Schmuddelkind, das einfach nicht sicher zu kriegen war. Kurz nach dem Release des ersten .NET-Frameworks zog Bill Gates dann überraschend die Notbremse. Mit dem Projekt „Trustworthy Computing“ verordnete er seinem Konzern eine grundlegende Revision, legte zahlreiche Projekte auf Eis und schickte Entwickler und Entscheider auf umfassende Security-Lehrgänge.

Das Momentum, das Redmond gerade mühsam erreicht hatte, kam ins Stocken. Die .NET-Idee war nicht tot, aber sie musste so lange zurück in die Labore, dass sie den Führungsanspruch für die komplette Internetbranche nicht mehr vertreten konnte.

Wie so oft, zeigte sich das auch in den Produktnamen, die Microsofts Marketing erfand. In der ersten Euphorie hatte der Hersteller praktisch jedem neuen Produkt einen .NET-Namen gegeben: Visual Studio.NET oder Visual Basic.NET blieben auch erhalten, aber von Office.NET oder dem Windows .NET Server (später prosaisch als „Windows Server 2003“ vermarktet) hörte man schon bald nichts mehr.

.NET heute und morgen

Blickt man im Februar 2022 zurück, dann scheint von Microsofts großer Idee der „Next Generation Windows Services“ nur das .NET-Framework überdauert zu haben. Und dem geht es hervorragend: Es dient als Grundlage für zahlreiche Applikationen, vor allem im Business-Bereich. Die Sicherheitskur hat der Microsoft-Plattform gutgetan, über eine Web-Applikation auf Windows-Basis rümpft heute niemand mehr die Nase. Die jüngste Renovierung der Technik unter dem Namen „.NET Core“ hat – wenn auch fast zwei Dekaden verspätet – das Framework auch in der Linux-Welt heimisch gemacht. Von der Software-Landkarte ist die Technik aktuell nicht wegzudenken.

Tatsächlich hat Microsoft von seiner Idee aus dem Jahr 2000 aber weit mehr verwirklicht. Liest man sich die damaligen Dokumente zu den Visionen aus Redmond durch, dann erkennt man vieles wieder, was heute Gang und Gäbe ist – womit damals aber noch niemand konkret rechnete. Wir nennen das auch nicht mehr .NET, und es war beileibe nicht immer Microsoft, von dem die Innovationen ausgingen.

Die Vision aus dem Sommer 2000 beschreibt aber in erstaunlich vielen Details die Cloud, wie wir sie heute kennen. Daten verschiedener Anbieter, ja ganze Unternehmens-Datenbestände liegen auf dezentral verteilten, aber einheitlich erreichbaren Servern überall auf der Welt. Gemeinsame Protokolle ermöglichen den Zugriff, wobei jeder Daten-Eigentümer vorgeben kann, was mit seinen Informationen möglich ist. Applikationen bestehen aus verteilten Funktionen und Microservices. Und wer sie nutzen will, braucht dafür keinen stationären PC, sondern kann mobil mit einer Vielzahl von Geräten spontan verwenden, was er braucht.

Liest man die Ankündigungen von damals mit dem Wissen von heute, dann kann man sagen: Vieles ist so gekommen. Oft waren andere Akteure die treibenden Kräfte, und vielleicht war Bill Gates im Jahr 2000 auch nicht der erste, der Ideen dieser Art hatte. Eine visionäre Kraft kann man den Ideen aber sicher bescheinigen. Und selbst wenn nicht: Trotzdem Happy Birthday, .NET Framework.

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