Aus der Entwicklerpraxis: Projektblocker im Berateralltag

Die Prozessdigitalisierung ist eines der Trendthemen des vergangenen sowie des aktuellen Jahres. Der Wunsch, Unternehmen und Prozesse zukunftsfähig auszurichten und von den Vorteilen moderner Digitalisierungslösungen zu profitieren, ist die Keimzelle dieser Entwicklung. Dabei sind es häufig unvorhergesehene Ereignisse, die den Charakter und Umfang eines Projektes grundlegend verändern können. Wir sprachen mit Nils Kaczenski über Projektblocker im Berater- und Entwickleralltag.

Oft ist es auf der Geschäftsleitungsebene nur das Gefühl, vielleicht „etwas zu analog“ aufgestellt zu sein, der am Anfang eines Projektes steht. Wie die Praxis zeigt, stecken die Probleme häufig im Detail und führen erst im weiteren Verlauf zu wachsenden Anforderungen, die sich besonders in der agilen Projektentwicklung gut abfangen und in die Planung integrieren lassen. Im Beispiel geht es um ein mittelständisches Unternehmen aus der Hightech-Branche, also mit einem hohen IT-Bezug und entsprechend technikaffinen Mitarbeitern. Am Anfang stand die Frage im Raum, was denn digitalisiert werden soll. Der Kunde hatte dazu recht konkrete Vorstellungen und wollte zuerst interne Verwaltungsprozesse digitalisieren.

Die Vorarbeiten dazu waren abgeschlossen, und im nächsten Schritt ging es darum, eine technische Plattform einzuführen, über die Umsetzung, Automatisierung sowie Kommunikation und Digitalisierungsprozesse laufen. Die konkrete Planung, wie diese Plattform aussehen sollte, war erst einmal nicht im Fokus. Grob angedacht waren die Automatisierungsfunktionen von Microsoft 365. Es zeigte sich dann recht schnell, dass genau dieser Punkt deutlich mehr Aufmerksamkeit erforderte. Der Kunde verfügt noch gar nicht über Microsoft 365 (MS365). Zu den eigentlichen Kernpunkten des Projektes kam dessen Einführung für das Unternehmen hinzu. „Das ist so als wenn man eigentlich nur einen neuen Firmenwagen anschaffen möchte und dann merkt, dass die Zufahrt zum Unternehmen fehlt“, so Nils Kaczenski.

Microsoft 365 als Digitalisierungsplattform

Die Automatisierungs- und Digitalisierungsfunktionen von MS365 bilden ja nur einen Bruchteil der Möglichkeiten der neuesten Office Suite. Geht man diesen Weg, so wäre es sinnvoll, die vorhandenen Möglichkeiten auch voll auszuschöpfen. Daraus entstand dann ein vom Charakter und Umfang her stark verändertes Projekt. Die neuen Möglichkeiten brachten veränderte Anforderungen mit sich, und der ursprünglich überschaubare Abstimmungs- und Kommunikationsaufwand wuchs.

Es musste ein neues Kosten-Nutzungskonzept entstehen, Mitarbeitervertretungen wie der Betriebsrat sind einzubeziehen, das Datenschutzthema bekommt eine ganz andere Dimension. Und so kommt es, dass die eigentlich „kleine Aufgabe“ der Prozessdigitalisierung erst einmal hinter der Plattformeinführung zurücksteht, die nun weitaus aufwändiger ist als die ursprüngliche Projektidee. In die Kosten-Nutzen-Analyse müssen neue Faktoren wie die MS365-Lizenzkosten einfließen, wobei diese nicht nur in Verbindungen mit den Digitalisierungskosten stehen können, sondern innerhalb des Gesamtbildes der Unternehmens-IT zu betrachten sind. Für die hohe finanzielle Investition bekommt der Kunde viel mehr, als ursprünglich angedacht war. Im Dialog mit dem Kunden ergab sich, dass andere vorhandene Projektwünsche sich gut in diese Umstellung einfügten.

Mit Blick auf die beim Kunden verwendete Software wurde klar, dass Alternativen zur MS365-Einführung wenig sinnvoll und nicht zukunftsfähig sein würden. Dabei zeigte sich schnell, dass auch der Kunde die große Gesamtlösung im Sinne einer modernen Corporate Communication und Collaborative Business anstrebte. Auf der Kostenseite bot das Aufsetzen auf vorhandene Software darüber hinaus keine wirklichen Vorteile, weil auch bei Nutzung vorhandener Software zusätzliche Lizenzkosten zur Funktionsaufstockung entstanden wären.

Hybride Projektleitung

Im Sinne einer hybriden Leitung gab es bei diesem Projekt eine verteilte Projekthoheit. „Die klassische absolute Projektleitung aus dem Lehrbuch findet man bei Kundenprojekten eigentlich nie. Es gibt keine Weisungsbefugnis gegenüber den Mitarbeitern des Kunden, und schon gar nicht gegenüber dem Auftraggeber“, berichtet Nils Kaczenski. Mit wachsender Zahl von Projektbeteiligten stieg der Abstimmungsaufwand, wobei banale Dinge wie die gemeinsame Terminplanung sich als echter Hemmschuh erwiesen. Die Corona-Thematik erschwerte die Situation zusätzlich, denn die für virtuelle Meetings und Home-Office-Kultur notwendige moderne IT-Infrastruktur musste ja noch entstehen.

Beim ersten digitalen Workshop zeigten sich schnell die Probleme. Für das dreistündige Meeting war über einer Stunde Vorlauf notwendig, um die Teilnahme für alle Beteiligten technisch zu ermöglichen. Von fehlender Software über nicht vorhandene Zweitmonitore war das ganze Spektrum möglicher Stolpersteine dabei. Der parallele Einsatz von Miro, Teams und anderer Collaboration Tools war für die Teilnehmer eine völlig neue Herausforderung.

Projektlaufzeit und Prozessüberarbeitung

Bei der Betrachtung der Prozesse zeigte sich, dass es für intime Prozesskenner im Unternehmen nicht einfach ist, externen Entwicklern Abläufe im Ganzen und nicht nur in Teilausschnitten zu beschreiben. Häufig bedurfte es acht oder mehr Durchläufen, bis komplexe Vorgänge in allen Details aufgenommen waren. Erst dann konnte eine Unterscheidung zwischen notwendigem Prozessablauf und historisch gewachsenem Prozess erfolgen, um Digitalisierungspotenziale auszuloten.

Von der anfänglichen Idee, innerhalb von 6 Monaten eine lauffähige Plattform zur Prozessdigitalisierung am Start zu haben, musste man sich verabschieden. Nach 6 Monaten steht nun die finale Entscheidung für MS365, wobei erste Prozesse schon in der digitalen Umsetzung sind. Betroffen von der Verzögerung ist hauptsächlich der Planungsprozess, der nahezu doppelt so viel Zeit wie ursprünglich angedacht beanspruchte.

Fazit

Dadurch dass der Kunde von Anfang an einbezogen wurde, entstand zu keinem Zeitpunkt eine Unzufriedenheit. Der veränderte Projektfokus und beschrittene Weg brachten neue Rahmenbedingungen mit sich. Durch die hybride Projektleitung wurde die Terminplanung entsprechend anspruchsvoll und erforderte deutlich mehr Kommunikationsaufwand als anfangs angenommen. Genau diese projektabhängige Kommunikation ist offenbar der Schlüssel, um Entwicklungen erfolgreich durchführen zu können.

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