Wie die IT in ihre eigenen Fallen tappt

Warum sich die IT emanzipieren muss – Teil 2 von 3.

Im vorherigen Teilen dieser Blogserie habe ich beleuchtet, warum IT-Abteilungen es oft schwer haben, ihre Anliegen und Projekte in ihren Unternehmen durchzusetzen. Einen wichtigen Grund sehe ich darin, dass die IT-Abteilung und die Unternehmensleitung völlig unterschiedliche Positionen einnehmen. Das liegt nicht nur daran, dass die IT für die Technik zuständig sind, die Führungskräfte nicht interessiert. Viel wichtiger scheint mir zu sein, dass viele IT-Abteilungen ihre eigene Position in den Unternehmen falsch einschätzen. Sie leiten ihre Stellung im Unternehmen von einer vermuteten strategischen Bedeutung ab, die so aber gar nicht existiert. Den Nutzen für die Anwender und für das Geschäft betrachten sie nicht und haben damit keinen Anteil daran.

Litware modernisiert sich

Ein besonders schönes Fallbeispiel habe ich vor einiger Zeit kennenlernen dürfen. Ich anonymisiere es hier, weil ich an dieser Stelle niemanden herausstellen, sondern ein paar interessante Punkte verdeutlichen möchte. Nennen wir das Unternehmen, um das es geht, einfach Litware. Litwares Geschäftsmodell beruhte über Jahrzehnte darauf, dass das Unternehmen eine spezielle Nische im Markt bedient hat. Schon seit längerer Zeit deutet sich an, dass diese Nische über kurz oder lang verschwinden wird. Es gibt also großen Bedarf zur Transformation des Unternehmens.

Die Geschäftsführung des Unternehmens, die zum größeren Teil bereits seit vielen Jahren im Amt ist, hat die Herausforderung angenommen. Nicht nur hat sie sich fachlich beraten lassen, sondern sie hat selbst einen Generationenwechsel eingeleitet, um die Tür für jüngere Kräfte mit neuen Ideen zu öffnen. Eine Strategie für den Umbau des Geschäfts ist gefunden. Das Unternehmen macht sich auf den Weg.

Auch in der IT ist die Aufbruchstimmung angekommen, nicht zuletzt durch eine neue IT-Leiterin. Clara Fall will mit ihrem Team die IT neu aufstellen und viel mehr als bisher an den konkreten Anforderungen des Business ausrichten. Bei den meisten ihrer Mitarbeiter*innen rennt sie damit offene Türen ein, denn sie sehen nun die Chance, endlich einiges zu modernisieren.

Eine der ersten Maßnahmen, die Clara und ihr Team angehen, ist für eine Technik-Abteilung ausgesprochen ungewöhnlich. Eine Umfrage bei den Litware-Fachabteilungen soll klären, wo die Kolleg*innen „im Business“ die Anforderungen an eine moderne IT sehen. Was brauchen die Menschen bei Litware, um künftig erfolgreich zu sein? Welche Funktionen fehlen, wo sind Vorgänge zu umständlich, was geht bislang gar nicht?

Als ich Clara Fall und ihre IT-Spezialist*innen kennenlerne, liegen die Ergebnisse der Umfrage bereits vor. Und alle Achtung, man hat sich wirklich Mühe gegeben. Die Abfrage ist gut vorbereitet und durchdacht, die Ergebnisse sind sorgfältig ausgearbeitet. Sie zeugen von einer Belegschaft, die sich zusammen mit ihrem Unternehmen auf den Weg zu etwas Neuem machen will. Einen Moment lang beschleicht mich als Berater ein gewisser Neid, dass mein neuer Kunde auf diese Idee schon selbst gekommen ist. Dieses Konzept hätte ich gerne gemeinsam mit ihnen entwickelt.

Wo ist das Problem?

Warum sind sie nun aber zu mir gekommen? Nun, nach all der Vorarbeit hat das Projekt einen jähen Stopp erfahren. Es stockt, und die IT-Fachleute wissen nicht weiter. Was war geschehen? Nach dem vielversprechenden Anfang, in dem die IT-Abteilung intensiv in den Dialog mit den Business-Abteilungen gegangen war, hatte sie sich schnell wieder auf ihr angestammtes Vorgehen besonnen. Die Ergebnisse der Abfrage waren da, und nun machte man sich an die technischen Details. Und das sah so aus: Die wichtigste Erkenntnis war, dass das Business sich bessere IT-Unterstützung und mehr Geschwindigkeit bei der Zusammenarbeit in Projekten wünschte. Also bereitete die IT-Abteilung eine Erneuerung der internen Systeme vor und wollte hierzu die technischen Einzelheiten mit den Fachabteilungen abstimmen. Aber plötzlich war das Interesse der Business-Kolleg*innen verflogen. Fragen wurden nur spärlich und zäh bearbeitet, der Dialog funktionierte nicht mehr. Also holte man mich als IT-Berater ins Haus, damit ich Clara und ihrem Team helfe, die technische Umsetzung zu beschleunigen.

Das hätte ich nun versuchen können, schließlich habe ich viele Jahre Erfahrung mit IT-Modernisierungen. Stattdessen habe ich mich aber mit den Leuten aus der IT zusammengesetzt, um ihnen etwas anderes vorzuschlagen. Das war der Weg, den sie zuvor selbst beschritten hatten, von dem sie aber durch ihre alten Gewohnheiten abgewichen waren. „Bleibt mit euren Kolleginnen im Gespräch“, war meine Kernbotschaft. „Es geht um ihr Business und nicht um Technik. Die Leute wollen zusammenarbeiten, miteinander, mit Kunden, mit Partnern. Das steht für sie im Vordergrund. Ihr habt so gut angefangen, mit ihnen darüber zu sprechen. Setzt das fort. Zwingt eure Kollegen nicht, so technisch zu denken, wie ihr es in eurer Rolle tun müsst, denn sie haben andere Rollen als ihr.“

Tatsächlich kam so wieder Bewegung in die Sache. Gemeinsam kamen „das Business“ und „die IT“ nun voran. Doch kurze Zeit später gab es erneut einen jähen Stopp. Wieder berichtete mir Clara Fall von einem Stillstand im Projekt. Diesmal war die Situation aber anders, diesmal stand nämlich gleich alles auf der Kippe. Was war nun geschehen?

Das Projekt war an einem kritischen Punkt angelangt, an dem es um Geld ging. Die IT-Abteilung hatte der Geschäftsführung Budgetzahlen vorgelegt für einen ersten großen Projektabschnitt. Und die erste Rückmeldung klang nicht gut. Für die Vorstandssitzung kurze Zeit später sah man schwarz: Bestimmt würde sich die Geschäftsführung für die Billigvariante entscheiden, mit der sie zwar Geld spart, die aber dazu führt, dass das Projekt eigentlich keinen Sinn mehr ergibt.

Sorgfalt – oder schlechte Vorbereitung?

Wie sich herausstellte, hatte die IT-Abteilung ganze Arbeit geleistet. Sie hatte mehrere Varianten durchgerechnet, wie sie das Projekt angehen und die benötigten Komponenten finanzieren könnte. Insgesamt waren so sechs Modelle zusammengekommen, die durchaus unterschiedliche Aufwände umfassten. Von diesen sechs Modelle fanden Clara und ihr Teams nur eines richtig gut. Ein anderes war das Worst-Case-Modell, das sie auf keinen Fall wollten. Der Rest lag irgendwo dazwischen.

Aus schlechter Erfahrung sahen einige der Admins schwarz. Dabei lag für mich die Lösung auf der Hand: Die IT-Abteilung hätte das anders vorbereiten können – wenn sie aus der Perspektive der Geschäftsführung gedacht hätte.

In einer Vorstandssitzung hat die Geschäftsführung viele anstrengende, aufwändige und teure Dinge zu entscheiden. Niemand hat dann Lust, sich mit den Details von sechs Modellen für ein IT-Projekt zu befassen. Da ist es nahezu zwangsläufig, dass das mit den kleinsten Kosten gewinnt. Viel klüger wäre es, die Auswahl drastisch zu reduzieren: Nicht sechs Modelle, sondern zwei. Das, welches die IT-Abteilung favorisiert und ein zweites, das sie eigentlich nicht will, mit dem sie aber leben kann. Dieses Modell stellt die IT in der Sitzung als erstes vor. Zunächst geht es kurz um die Vorteile, die dieses Modell hat. Dann geht es ebenso kurz um dessen Nachteile. Nun kommt das zweite Modell auf den Tisch – „das gefällt uns noch besser, denn es vermeidet die Nachteile von Modell 1, weil …“. Nun aus Business-Sicht argumentieren, nicht primär technisch. Erfahrungsgemäß funktioniert diese Taktik, und die Geschäftsführung trägt die Entscheidung für das bessere Modell mit, auch wenn es mehr kostet.

„Aber das ist doch nicht ehrlich, wir haben doch extra sechs Modelle durchgerechnet!“ entfährt es Clara Fall. Doch, das ist ehrlich – von den sechs Modellen hat die IT-Abteilung vier bereits aussortiert, weil sie nicht gut genug sind. Das ist exakt die Vorbereitung, die eine Geschäftsführung erwartet. Denn dafür hat sie doch ihre Fachleute, damit diese sich um die Details kümmern und Entscheidungen gezielt vorbereiten.

Zwei unterschiedliche Stopp-Situationen im selben Projekt. Und beide lassen sich durch denselben Ansatz lösen: Die IT nimmt die Perspektive der Betroffenen ein. Im ersten Fall ist es die Sicht der Anwender*innen, die die IT nutzen wollen, um ihr Geschäft gut zu machen. Und im zweiten Fall ist es die Sicht der Leitung, die gut vorbereitet unternehmerische Entscheidungen treffen will.

Diese Geschichte illustriert gut, was ich mit der „Emanzipation der IT“ meine: Viele IT-Abteilungen sind in ihren Unternehmen in einer Rolle der Bedeutungslosigkeit gefangen. Sie verrichten ihr Tagwerk losgelöst von den Anforderungen des Geschäfts. Das geht manchmal so weit, dass die IT-Admins gar nicht wissen, was ihre Kolleg*innen in den Fachabteilungen eigentlich tun, was die aktuellen Themen im Unternehmen sind – und im Härtefall nicht einmal, womit ihre Firma eigentlich ihr Geld verdient. Um auszubrechen aus dieser undankbaren Rolle, gibt es eine entscheidende Voraussetzung: Die IT muss sich selbst ernst nehmen und den Beitrag erkennen, den sie leisten kann. Erst dann – und nur dann! – wird sie selbst ernst genommen.

Im nächsten und abschließenden Teil dieser Blogserie stelle ich Ihnen vier konkrete Schritte vor, mit denen sich eine IT-Abteilung auf den Weg zur Emanzipation machen kann.

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