Prozessvisualisierung – Es muss nicht immer BPMN sein

Menschen sind visuell geprägte Lebewesen. 83 Prozent unseres sensorischen Inputs nehmen wir über die Augen wahr. Kein Wunder also, dass visuelle Hilfsmittel schon seit Jahrtausenden Teil der menschlichen Kommunikation sind.

Auch in der modernen Zeit setzen wir häufig auf Bilder, um Informationen auszutauschen. In geschäftlichen Meetings ist es beispielsweise üblich, Konzepte oder Abläufe in Form von Schaubildern auf Whiteboards oder Flipcharts zu visualisieren. Diese Grafiken dienen dazu, Teilergebnisse zu dokumentieren, Standpunkte zu verdeutlichen und ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten zu schaffen. Sie sollen komplizierte Zusammenhänge vereinfachen, indem sie einen Teil unseres Gehirns ansprechen, der Informationen besonders gut verarbeiten kann.

Diese Funktion geht jedoch im Geschäftsalltag zunehmend verloren. Zu viele Unternehmen neigen dazu, ihre Prozessdiagramme strikt an formalen Notationssprachen wie BPMN (Business Process Model and Notation) auszurichten. Die so entstandenen Schaubilder sind zwar semantisch korrekt, aber sie eignen sich kaum noch als Kommunikationshilfe. Dabei kann eine simple Skizze manchmal mehr aussagen als ein komplexes Diagramm.

Was spricht gegen Prozessanalyse mit BPMN?

Die geläufigste Spezifikationssprache BPMN 2.0 ist so weit verbreitet, dass einige Unternehmen begonnen haben, sie als Universalwerkzeug im Prozessmanagement einzusetzen. Wann immer ein Prozess visualisiert werden muss, kommt BPMN zum Einsatz.

In einigen Situationen ergibt das auch Sinn. Wenn es um die präzise, vollständige Dokumentation eines Geschäftsprozesses geht (etwa als Vorgabe für die operative Umsetzung), ist der Einsatz einer etablierten Notationssprache empfehlenswert. Aber Prozessmanagement besteht nicht nur aus Dokumentation.

Es gibt andere Teilbereiche, etwa die Konzeption neuer oder modifizierter Prozesse, in denen gedankliche Flexibilität mehr wert ist als Präzision. Bei der konzeptionellen Prozessoptimierung geht es darum, Ideen zu entwickeln, Vorschläge zu diskutieren und in andere Richtungen zu denken. Dafür braucht es ein flexibles Visualisierungsmodell, das leicht angepasst werden kann. Eine komplexe Notationssprache wie BPMN kann das nicht leisten.

Das folgende Beispiel zeigt einen simplen Geschäftsprozess, der mit BMPN modelliert wurde: Ein Kunde gibt eine Bestellung auf, die vom Anbieter bestätigt und versendet wird.

Das Schaubild ist semantisch korrekt. Es lässt keinen Interpretationsspielraum zu und ist darüber hinaus maschinenlesbar, kann also von Prozessautomatisierungsplattformen wie Camunda verarbeitet werden. Für die Prozessdokumentation sind solche Grafiken optimal geeignet – für konzeptionelle Aufgaben allerdings weniger.

Das Schaubild ist für Laien nicht intuitiv. Aus dem Kontext kann man zwar die Bedeutung der einzelnen Elemente ablesen und sich das Big Picture zusammenreimen, doch das liegt in erster Linie an der geringen Komplexität des Beispiels. Umfangreichere BPMN-Diagramme können ganze Wände füllen und sind ohne Kenntnisse der Modellierungssprache kaum zu entziffern.

Im Kontext der Prozessmodellierung ist das nebensächlich, denn sowohl die Modellierer als auch die umsetzenden Kollegen sind mit BPMN vertraut. Konzeptionelle Teams sind jedoch oft interdisziplinär aufgestellt. Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen kommen zusammen, um einen Prozess aus unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren. Wir können nicht davon ausgehen, dass sich alle Kollegen mit BPMN auskennen. Und damit wird die Sprache zur Kommunikationshürde. Stakeholder, die nur wenig Erfahrung mit BMPN haben, brauchen oft sehr lange, um formale Prozessdiagramme zu verstehen. Diese Zeit fehlt dann für inhaltliche Diskussionen.

Darüber hinaus sind BPMN-Diagramme relativ monoton. Sie bestehen hauptsächlich aus Text und wiederkehrenden Standardelementen. Im individuellen Fall haben sie kaum Wiedererkennungswert. Vermutlich haben Sie bereits vergessen, wie das Beispieldiagramm im Detail aussieht.

Warum spielt das eine Rolle? Weil Prozessschaubilder visuelle Hilfsmittel sind. Sie sollen verbalen Gesprächen eine optische Komponente hinzufügen, um die Informationsverarbeitung durch das Gehirn zu stimulieren. Dazu bedarf es jedoch prägnanter Bilder, die im Gedächtnis haften bleiben. Komplexe BPMN-Diagramme gehören leider nicht dazu.

Was sind die Vorteile einfacher Skizzen?

Betrachten wir dagegen ein simplifiziertes Schaubild, das den gleichen Anwendungsfall in Form einer Skizze beschreibt: Ein Kunde gibt eine Bestellung auf, die vom Anbieter bestätigt und versendet wird.

Obwohl dieses Bild den gleichen Prozess beschreibt, unterscheiden sich beide Beispiele deutlich. Die Skizze ist relativ simpel und bietet viel Interpretationsspielraum. Als Vorgabe für die technische Umsetzung ist sie daher ungeeignet. Die IT müsste permanent nachfragen, wie einzelne Prozessschritte im Detail implementiert werden sollen.

In einem konzeptionellen Kontext spielt dieses vereinfachte Schaubild jedoch seine Stärken aus. Es ist leicht verständlich und verwendet keine abstrakten Symbole. Fachfremde Diskussionsteilnehmer können problemlos erkennen, was die verschiedenen Icons bedeuten und in welcher Relation sie zueinander stehen. Auch das Big Picture ist klar ersichtlich. Dafür sorgen die Icons, die den Kontext des Schaubilds leicht erkennen lassen. Die Kombination aus PC-Bildschirm LKW und Shop-Symbol verdeutlicht, dass es sich in diesem Fall um eine Online-Bestellung handelt, bei der eine Ware physisch geliefert wird.

Skizzen wie diese sind kompakt und intuitiv. Jeder kann sich an ihrer Erstellung beteiligen und mitdiskutieren. Vorwissen bezüglich der sprachlichen Nomenklatur ist nicht erforderlich. Erlaubt ist, was verständlich ist. Das macht simple Schaubilder zu einem hervorragenden Kommunikations-Tool. Zudem sind sie prägnant. Das zweite Beispiel können Sie sich viel leichter merken als das Erste.

Einfache Schaubilder können BPMN ergänzen

Um eins klarzustellen: Es geht hier nicht darum, BPMN schlechtzureden. Im Gegenteil. Formale Spezifikationssprachen sind für bestimmte Anwendungszwecke hervorragend geeignet, zum Beispiel für die Prozessmodellierung. Allerdings verwenden einige Unternehmen BPMN als Universalwerkzeug für jedes nur denkbare Szenario. Das kann zu Problemen führen. BPMN erweist sich in manchen Situationen als hinderlich, etwa bei Brainstormings.

Ein besserer Ansatz ist, für jedes Einsatzgebiet das passende Werkzeug auszuwählen. So kann jede Visualisierungsmethode ihre Stärken ausspielen. Ein mögliches Vorgehensmodell für die Prozessoptimierung könnte wie folgt aussehen:

  1. Im gemeinsamen Termin wird das Gesagte grob auf einem Flipchart skizziert. Es entsteht ein oberflächliches Schaubild als Kommunikationshilfe.
  2. Das Bild wird aufbereitet und mit Standard-Symbolen für den Wiedererkennungswert angereichert. Das Ergebnis erhalten die Diskussionsteilnehmer als Gedankenstütze (siehe Beispiel 2).
  3. In einem späteren Termin wird der neue Prozess präzise ausformuliert und für die Umsetzung in einer formalen Spezifikationssprache festgehalten (siehe Beispiel 1).

Auf diese Weise profitieren Sie in jedem Schritt von den Vorteilen der passenden Visualisierungsmethode, ohne fachfremde Personen zu verwirren oder Präzisionsverluste in Kauf zu nehmen.

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