Warum bekommt die IT ihr Projekt nicht genehmigt?

Warum sich die IT emanzipieren muss – Teil 1 von 3.

Neulich bei der Firma Witter & Doglaste, einem mittelständischen Anbieter von Container-Logistik. Ich sitze bei IT-Leiterin Ellen Bogen, um über ihre Ideen für das nächste Jahr zu sprechen. Bevor wir zum Thema kommen, klagt sie mir ihr Leid: „Wir müssen dringend die IT modernisieren, aber wir bekommen das Projekt nicht genehmigt.“ Die Geschäftsleitung, so Frau Bogen, lasse sich nicht überzeugen, Zeit und Geld zu investieren, um die IT auf einen aktuellen Stand zu bringen. Dabei plane sie doch schon gar nichts Großes, sondern das, was sie beantragt hat, würde gerade so reichen, um die Infrastruktur am Laufen zu halten. Aber irgendwie fühle sie sich auch von der Geschäftsleitung gar nicht ernst genommen.

Spontan will ich antworten: Wissen Sie, Frau Bogen, das geht vielen IT-Abteilungen so. Und tatsächlich höre ich so etwas sehr oft. Aber so eine Antwort würde ihr wohl gerade nicht recht helfen. Was ich also zu ihr gesagt habe, schauen wir uns später an – jetzt möchte ich gern an genau diesem Punkt weitermachen, den ich mir bei Frau Bogen verkniffen habe.

Was läuft da falsch mit der IT?

Um dieser Frage nachzugehen, sollten wir uns einmal ansehen, was „die IT“ und „die Geschäftsleitung“ in einem typischen mittelständischen Unternehmen voneinander denken. Stopp, werden Sie vielleicht einwenden, man kann doch tausende Mittelständler nicht einfach über einen Kamm scheren! Recht haben Sie. Und doch gibt es ein paar Denkmuster, die ich immer wieder antreffe. Einigen wir uns also darauf, dass ich grob vereinfachend ein paar Einzelerfahrungen zusammenstelle und von diesen berichte. Im Folgenden steht „die IT“ und „die Geschäftsleitung“ also für einzelne fiktive Unternehmen.

In vielen IT-Abteilungen treffe ich den Gedanken an: „Wir sind hier die einzigen, die wissen, wie das Netzwerk funktioniert. Ohne uns geht hier nichts. Eigentlich sind wir das Machtzentrum des Unternehmens.“ Das kann man kühn finden, und das ist es auch. Allerdings gibt es dazu auch immer das Gegenstück: „Aber die Anwender machen, was sie wollen. Und unser Budget reicht hinten und vorne nicht.“

In meiner Rolle als Berater spreche ich aber auch mit vielen Leuten aus den Leitungsebenen unserer Kunden. Da klingt die Wahrnehmung der IT oft etwas anders. In so manchem Unternehmen ist die IT eher eine Gegebenheit wie ein Fuhrpark oder manchmal auch nur ein notwendiges Übel. Das ist oft nicht ganz fair, denn für die mangelnde Qualität mancher kommerzieller Softwareprodukte kann die IT-Abteilung nun wirklich nichts. Aber es zeigt ziemlich deutlich, dass es schwierig ist, gemeinsam etwas zu bewegen, wenn das eine Bild so sehr von dem anderen abweicht.

Was ist denn da nun los?

Ich habe den Eindruck, dass „die IT“ und „die Leitung“ sich oft deshalb so schlecht verstehen, weil sie aus völlig unterschiedlichen Perspektiven auf die Leistungen der IT blicken. Die IT-Abteilung selbst hat einen technischen Blick auf alles, was sie da betreut. Und das findet sie auch völlig selbstverständlich, denn es ist ja nun mal sehr komplexe Technik. Die Leitung hingegen sieht alles, also auch die IT, durch die Business-Brille: Was braucht das Geschäft? Und ist das, was die IT leistet, dem Geschäft zuträglich? Auch dieser Blick ist über jeden Zweifel erhaben, denn das ist die wichtigste Aufgabe der Geschäftsleitung.

Beide Perspektiven sind offensichtlich nicht kompatibel zueinander. Der Weg zur Annäherung scheint dabei für die IT-Abteilung meist weiter zu sein als für die Geschäftsführung. Natürlich müssen sich beide aufeinander zubewegen, wenn sie den Konflikt lösen wollen. Aber die Geschäftsführung hat in vielen Unternehmen die besseren Argumente für ihre Position. Denn schon durch ihre Rolle definiert sie, wie die geschäftlichen Interessen aussehen. Davon wird sie zugunsten technischer Aspekte nicht weit abrücken können. Das ist aber für die IT-Abteilung auch eine gute Ausgangsposition, denn so ist gut erkennbar, wohin sie sich bewegen muss:

Die IT-Abteilung muss lernen, ihren Beitrag zum Business zu definieren. Und sie muss ihn darstellen.

Dass wir nun einen Weg kennen, heißt noch nicht, dass das einfach ist. Im Gespräch mit vielen IT-Abteilungen stelle ich immer wieder ein gravierendes Missverständnis fest. Die Wahrnehmung der Kollegen ist: IT ist enorm leistungsfähig geworden und überall verfügbar. Es gibt heute eigentlich kein Unternehmen mehr, das ohne IT funktionieren würde. Also ist auch die strategische Bedeutung der IT gestiegen.

Ist IT strategisch wichtig?

Das ist aber falsch. Es tut mir Leid, das so deutlich sagen zu müssen, aber: Dass IT lebensnotwendig für alle Unternehmen ist, ist ein Beleg dafür, dass IT eben nicht strategisch notwendig ist. Diesen Gedanken hat Nicolas G. Carr schon vor fast 20 Jahren in einem damals aufsehenerregenden Essay in der Harward Business Review entwickelt. „IT Doesn’t Matter“ war seine steile These, übersetzt etwa: „auf IT kommt es nicht an“.

Carr argumentiert: Eine Ressource ist nur dann strategisch wichtig, wenn sie sehr knapp ist. Nur dann habe ich einen Vorteil davon, diese Ressource zu besitzen. Meine Wettbewerber haben diese Ressource nicht oder sie haben zu wenig davon. Und das gibt mir einen Vorsprung.

Eine Ressource hingegen, die allgemein verfügbar ist und die jeder einsetzt, ist eine notwendige Infrastruktur. Man braucht sie, aber sie bildet keinen Vorteil. Carr zeigt dies anschaulich an einigen historischen Beispielen. Telegrafie und das Telefon haben nach ihrer Erfindung einen echten Unterschied gemacht. Plötzlich konnte, wer darüber verfügte, sehr schnell Informationen übermitteln, Aufträge erteilen oder Entscheidungen umsetzen. Heute ist die Geschwindigkeit, die daraus entsteht, selbstverständlich. Vor 150 Jahren war sie ein echter Vorteil im Wettbewerb.

Ähnlich war es mit der Eisenbahn: Eine Fabrik mit Eisenbahnanschluss kann ihre Produkte viel schneller absetzen und kommt schneller an Rohstoffe als die Konkurrenz. Oder Elektrik: Die Pioniere, die ihre Produktion auf automatische Antriebe umstellen konnten, produzierten schneller und günstiger und stachen Manufakturen oder schwerfällige Dampfmaschinen locker aus.

Solchen Entwicklungen ist aber eins gemein: sie verbreiten sich schnell, der Wettbewerb holt auf. Dann ist die bloße Technik kein Vorteil mehr. Es tritt manchmal sogar ein Umkehreffekt ein: Die ehemals revolutionäre Technik wird zur Notwendigkeit. Es geht nicht mehr um die Blüte, sondern um Verfügbarkeit. Plötzlich stehen Unternehmen in einer Abhängigkeit. Sie geben also vielleicht sogar mehr für die Ressource aus als in der Innovationsphase, weil es nicht mehr um einen Vorteil geht, sondern darum, einen Nachteil abzuwenden.

Große Budgets sind also anscheinend kein Indikator für strategische Bedeutung. Unternehmen geben durchschnittlich heute viel mehr für IT aus als vor zwanzig Jahren. Dadurch sind sie aber nicht „vorne dran“, sondern sie sehen einfach keine Alternative, wenn sie nicht ins Hintertreffen geraten wollen. Das hat auch Folgen für den Markt. Frühere Pioniere orientieren sich um – Apple etwa, als IT-Innovator viel gerühmt, ist in Wirklichkeit heute ein Anbieter im Consumer-Markt und ein Medienunternehmen. Oder sie verschwinden – erinnern Sie sich noch an den Bürocomputer-Vorreiter Commodore?

Es ist entlarvend, dass wir heute wenig über die Chancen von IT reden, aber uns viel mit den Risiken beschäftigen. Das ist kein Fehler in der Diskussion, sondern es zeigt deutlich: IT ist seit Jahren im Wesentlichen ausentwickelt. Klar, es gibt immer noch Innovationen im Detail. Aber IT als solche macht nicht mehr den Unterschied. Wir brauchen sie einfach, und zwar mittlerweile überall. Die Kosten, das Risiko im Griff zu halten, übersteigen die Summen bei weitem, die wir in Innovationen investieren würden.

Wenn das aber so ist – was heißt das für die IT-Abteilungen?

Nun haben nach meiner durchaus tendenziösen Darstellung die IT-Spezialisten in den Unternehmen mal eben ihre strategische Bedeutung verloren. Was bleibt also für sie übrig? Eine ganze Menge. Sie müssen sich dafür aber anders aufstellen. Und damit kommen wir zu meiner wesentlichen These:

Die IT-Abteilungen müssen sich emanzipieren. Sie müssen sich aus ihrer selbst erzeugten Bedeutungslosigkeit befreien. Erst wenn die IT sich selbst ernst nimmt, wird sie auch ernst genommen.

Ich behaupte: Viele IT-Verantwortliche in den Unternehmen nehmen eine falsche Rolle ein. Sie sehen sich als Technik-Zauberer, die mit dem Business nichts zu tun haben. Vor lauter Komplexität und Security haben sie es verlernt, auf den Bedarf ihrer Firma und ihres Geschäfts einzugehen. Ihren wichtigen Beitrag zum Erfolg kann man so nicht erkennen, und daraus entsteht in vielen Unternehmen ein Image-Problem für die IT.

Lesen Sie im zweiten Teil dieser Reihe, wieso es oft zu Projektstopps in der IT kommt und welche Lösungsansätze verfolgt werden können, um diese Probleme zu lösen.

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